Liebe Leser:innen, nach längerer Abstinenz schreibe ich, Mario Buchinger, heute wieder einen Beitrag für unseren #RestartThinking-Blog und werde künftig wieder häufiger an dieser Stelle beitragen. Wir werden oft gefragt, wie man die Verkehrswende umsetzen und wie Nachhaltigkeit im Mobilitätsbereich aussehen kann. In diesem Beitrag geht es daher um eine wirksame Verkehrswende, konkret am Beispiel von Oberbayern, genauer gesagt im Bereich der Strecke zwischen München und Mittenwald über Garmisch-Partenkirchen. Ich bin auf dieser Strecke jede Woche mit der Bahn unterwegs. Der Bahnhof Mittenwald ist für mich bei den meisten Reisen der Start- und Endbahnhof. Die Reisen gehen dann weiter über München quer durch Deutschland, teilweise bis Frankreich oder Benelux.
Desolater Zustand
Am 3. Juni ereignete sich bei Garmisch-Partenkirchen das tragische Zugsunglück, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen und 68 zum Teil schwer verletzt wurden. Seitdem liegt die ganze Strecke danieder. Es ist nicht mehr möglich, mit der Bahn nach Garmisch-Partenkirchen – geschweige denn nach Mittenwald – zu kommen. Die Züge aus München verkehren nur noch bis Oberau, einem Ort wenige Kilometer nördlich von Garmisch-Partenkirchen. Zeitweise ist aber auch der Bahnhof Oberau nicht mehr erreichbar und ich weiche auf Murnau aus. Aber auch dieser Halt entfällt regelmäßig. Zwar ist ein Busersatzverkehr eingerichtet, dieser ist leider oft nicht zuverlässig und mir ist es spät in der Nacht auch schon passiert, dass der Bus gar nicht kam.
Aber schon vor dem Zugunglück lief es auf der Strecke nur langsam und Störungen gab es ständig. Die Mitfahrer:innen, die schon viele Jahre und zum Teil Jahrzehnte auf der Strecke pendeln, berichteten, dass sie jedes Jahr irgendwo entlang der Strecke einen Ersatzbus nutzen müssen, weil mal wieder notdürftige Reparaturen nötig sind.
Offenbar ist die Strecke in einem sehr desolaten Zustand. Dieser Verdacht wird auch von einem Bericht des ARD-Magazins Report Mainz bestätigt. Dort wird aus Chats von Lokführer:innen zitiert, wonach die ganze Strecke ab Tutzing „richtig im Arsch“ sei.
Versagen der deutschen Verkehrspolitik
Dieser Zustand ist symptomatisch für große Teile des Streckennetzes und ist eine Folge der seit Jahrzehnten verfehlten Verkehrspolitik in Deutschland. Man hat stets einseitig autobasierte Mobilität gefördert und dabei die öffentliche Personenbeförderung kaputt gewirtschaftet. Nun fällt zunehmend auf, dass man auf die falschen Pferde gesetzt hat.
In der Mobilität der Zukunft kann das Auto in der heutigen Form nicht mehr vorkommen. Das Auto ist zu ineffizient, zu verschwenderisch und zu teuer, auch wenn es zunehmend elektrisch betrieben wird. Die Bahn hingegen ist ein zukunftsfähiges Element in der Mobilität von morgen. Kaum ein Verkehrsmittel kann so viele Personen und so viel Fracht – bezogen auf die eingesetzte Energie und den Flächenverbrauch – befördern.
Auf der genannten Strecke wäre es nun möglich, aus dem Problem eine Chance zu entwickeln und diese Strecke zu einem Vorzeigeprojekt für eine echte Verkehrswende zu machen. Dafür braucht es mehr als nur die Reparatur der vorhandenen Strecke. Wie das möglich wäre, möchte ich hier kurz in ein paar Schritten skizzieren.
Ein Pilotprojekt für eine Verkehrswende in vier Schritten
Schritt 1: Sofortmaßnahmen und Stabilisierung
Die derzeitige Strecke muss soweit repariert werden, dass ein regulärer Betrieb von Mittenwald bis München wieder möglich ist. Damit wäre der Zustand vor dem Zugsunglück wiederhergestellt. Dies scheint derzeit zu erfolgen. Das kann aber keine dauerhafte Lösung sein, denn Streckenabschnitte mit Langsamfahrstellen haben sich auf der besagten Strecke seit dem Unglück erhöht, was vermutlich notwendig ist.
Schritt 2: Streckenerweiterung
Parallel zur vorhandenen Strecke wird ein zweites Gleich gebaut. Diese zusätzliche Kapazität ist erforderlich, um in Zukunft eine attraktive Taktung zwischen München und der Urlaubsregion Zugspitze zu erreichen. Auch die Wahrscheinlichkeit für Verspätungen durch das Warten eines verspäteten entgegenkommenden Zuges wird stark reduziert.
Schritt 3: Vollständige Sanierung
Das bereits heute existierende Gleis wird vollständig saniert und erreicht damit den aktuellen Stand, wie das zuvor gebaute zweite Gleis. Damit sinkt die Intensität des Wartungsaufkommens und man kann durch präventive Instandhaltung dafür sorgen, dass die Strecke künftig nicht mehr auf Verschleiß gefahren wird, so wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Damit sind die Voraussetzungen für eine Verkehrswende in dieser Region geschaffen.
Schritt 4: Kurzzyklische Taktung
Durch die nun vorhandene zweigleisige Infrastruktur können Züge zwischen München und Garmisch-Partenkirchen kurzzyklischer (z.B. im 30-Minuten-Takt) verkehren. Die neue Infrastruktur erlaubt zwischen den Haltepunkten höhere Fahrgeschwindigkeiten und damit ist die Reisezeit nach Garmisch auf 1 Stunde oder weniger umsetzbar. So bekommt die Strecke im Vergleich zum ineffizienten Verkehrsmittel Auto über die kürzere Fahrzeit und die Verfügbarkeit eine weit höhere Attraktivität.
Wer soll das bezahlen?
Natürlich stellt sich immer die Frage, woher Geld für so ein Vorhaben kommen soll. Hier könnte eine Möglichkeit sein, dass man Mittel aus der alten Welt (Auto) in die neue Welt (Bahn) überführt. Um Garmisch-Partenkirchen sind vier Tunnel für Autostraßen vorgesehen, von denen der in Oberau vor kurzem eröffnet und ein weiter gerade gebaut wird. Zwei weitere werden zudem geplant. Das Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro ist dafür vorgesehen. Die Bahn geht (wieder einmal) leer aus und muss sich mit Provisorien begnügen, die am Ende zu Langsamfahrstellen oder im schlimmeren Fällen zu Zugunglücken mit Todesopfern führen. Ein solches Vorgehen ist im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß und trägt nicht zur Verkehrswende bei.
Aus der Verkehrsforschung wissen wir, dass es zu keiner Verkehrsentlastung kommt, wenn mehr Straßen gebaut werden – im Gegenteil der Individualverkehr nimmt sogar zu. Um die Einwohner:innen in der Zugspitzregion, die unter dem Verkehrsaufkommen zu leiden haben, zu entlasten, braucht es eine Verlagerung der Reisenden von der Straße auf die Schiene und nicht noch mehr Straßen. Sobald die Taktung attraktiv ist und der Preis stimmt, verliert das Auto automatisch an Attraktivität. Im Zuge der Diskussion über ein Nachfolgemodell für das 9-Euro Ticket ist davon auszugehen, dass es auch künftig preislich ansprechende Angebote für den Regionalverkehr geben wird – was auch dringend nötig ist.
Städte, wie zB Wien haben mit dem 365-Euro Jahresticket gezeigt, dass günstige Angebote durchaus profitabel sind und die Straße an Attraktivität verliert. Dafür braucht es aber auch ein ansprechendes Verkehrsangebot.
Die Zugspitzregion kurzzyklisch anzubinden ist nicht nur für die Bewohner:innen interessant. Auch Ferien- und Tagesgäste, die jedes Jahr reichlich in die Region kommen, nehmen unter den beschriebenen Umständen lieber die Bahn.
Durch die Bepreisung der tatsächlichen Kosten, die das Verkehrsmittel Auto verursacht und die heute externalisiert sind, gewinnt die Bahn noch mehr an Attraktivität. Dies können die Gemeinden an der Strecke und auch die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen durch Erhebung entsprechender Parkgebühren erreichen. So haben alle Menschen noch immer die Wahl, ob sie mit dem umweltfreundlichen Verkehrsmittel Bahn oder dem verschwenderischen Verkehrsmittel Auto anreisen wollen. Die Folgen der jeweils persönlichen Entscheidung sind dann auch angemessen eingepreist.
Es ist Zeit, es endlich richtig zu machen
Meines Erachtens liegt in dieser Region und dem oben beschriebenen Vorhaben eine große Chance zu zeigen, dass auch der Mobilitätssektor Klimaziele erreichen kann und dabei noch an Attraktivität gewinnt. Damit wäre endlich ein wirksamer Beitrag zur Nachhaltigkeit getan.
Der Mobilitätssektor hat bekanntermaßen die erforderlichen Klimaziele stets verfehlt und dies sogar trotz der Corona-Pandemie. Etwaige Effizienzsteigerungen wurden durch noch mehr und noch schwerere Fahrzeuge wieder zunichte gemacht. Um eine wirksame Verkehrswende zu erreichen, müssen wir das verändern, was anscheinend zur „Normalität“ geworden ist. Dazu gehört unter anderem, Mobilität jenseits des Autos zu denken. Die Bahn ist ein wirksamer Ansatz und die Umstände im Streckenabschnitt München – Zugspitzregion sind eine hervorragende Möglichkeiten, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
Das Erreichen von Klimazielen hat übrigens häufig nichts mit Verzicht zu tun. Die neuen Umstände sind vielen Menschen zunächst fremd und werden daher als Aufwand oder Verlust empfunden. Im Ergebnis ist es aber ein Gewinn, wenn man sich traut raus aus dem Gewohnten zu agieren.
Haben Sie Kommentare oder sind Sie anderer Meinung zur Verkehrswende? Dann freue ich mich auf Ihre Nachricht.
Herzliche Grüße
Mario Buchinger
Veränderung. Denken. Können.
#RestartThinking