Vor lauter Covid-19-Pressekonferenzen und Katastrophenberichten gehen momentan wichtige Nachrichten unter. Etwa fand am Freitag, 24. April 2020, der Klimastreik statt, diesmal online. Außerdem spielen die Ölpreise aufgrund des massiven Absatzeinbruchs verrückt. Meinen Kommentar zu beiden Themen für das Fachmagazin Report finden Sie hier. Was hat sich noch getan? Ich berichte Ihnen heute über Tesla und deren technischen Vorsprung. In diesem Zusammenhang beleuchte ich auch die Initiativen der deutschen Autoindustrie hinsichtlich Elektromobilität.
Tesla zerlegt
Keine Sorge, ich diskutiere jetzt keine Börsenkurse mit Ihnen, bei denen wieder auf irgendeinen Crash von Tesla gewettet wird. Stattdessen möchte ich ein spannendes Ergebnis mit Ihnen teilen. Die japanische Tageszeitung Nikkei Asian Review ließ einen Tesla Model 3 zerlegen und ging der Frage nach, ob und wie weit der amerikanischen E-Auto Hersteller der Konkurrenz voraus sei? Die Erkenntnisse sind durchaus bemerkenswert:(1)
Die Techniker fanden beim sogenannten „Teardown“, also dem gezielten Auseinandernehmen von Produkten um die verwendeten Bauteile zu identifizieren,(2) vor allem eine zentrale Steuereinheit, die für Aussehen sorgte. In dieser Steuereinheit befanden sich zwei maßgefertigte Computerchips für Anwendungen im Bereich der künstlichen Intelligenz.(3) Die beiden Chips sind für den Fahrassistent und das Infotainment-Center im Tesla zuständig. Der Autobauer hat die Bauteile selbst entwickelt und gleich so konzipiert, dass sie „over-the-air“ also mittels Funk jederzeit aktualisiert werden können.
Was machen herkömmliche Autobauer?
Bisher gibt es in den Fahrzeugen für jede Funktionsgruppe meist ein eigenes Steuergerät. In Oberklassemodellen können dabei schon mal 80 bis 100 Steuergeräte zusammenkommen.(4) Diese Komplexität zieht sich durch den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs. Die Geräte stammen von verschiedenen Automobilzulieferern, müssen in die bestehende Systemarchitektur integriert werden und sind bei der Wartung entsprechend kompliziert. Daher können Updates nur in den Werkstätten eingespielt werden. Änderungen an den Steuergeräten sind generell sehr schwierig und langwierig, weil dann wieder der ganze Prozess von vorne durchlaufen werden muss.
Der Unterschied zu Tesla
Tesla geht daher seit Jahren einen konsequenten eigenen Weg. Durch massive Investitionen in die IT (Steuerung, Sicherheit, Künstliche Intelligenz) und in die dazugehörige Hardware hat der kalifornische Autobauer einen riesigen Vorsprung erarbeitet. Die Lieferketten werden schlanker und können selbst viel schneller angepasst werden. Was bedeutet das für den Kunden? Sie erhalten praktisch bei jedem Update eine neuere Version Ihres Autos.
Was ist besonders daran?
Die vom Nikkei Asian Review beauftragten Techniker schätzen den Vorsprung von Tesla auf VW auf etwa 6 Jahre.(1) Oder anders gesagt, die deutschen Hersteller werden vermutlich erst im Jahr 2026 das können, was Tesla heute schon kann. Nur wird der E-Auto Pionier nicht auf die Konkurrenz warten.
Die Auswirkungen
Diese Erkenntnis ist besonders in Hinblick auf den Automobilmarkt in Mitteleuropa irrsinnig spannend. Denn bis dato erbringen die Zulieferer etwa 70 % der Wertschöpfung an einem Auto.(5) Das wiederum bedeutet, dass die Hersteller wenig selbst am Fahrzeug machen (v.a. Karosseriebau, teilweise Motorenblöcke, teilweise die Bremstechnik).
Ein E-Fahrzeug hat nur 10 % der Teile eines Benziners bzw. Diesels.(6) Dementsprechend wird hier die Frage nach der Lieferkette besonders bedeutend sein. Da wesentliche Komponenten, wie die Batterietechnik oft von extern kommen, werden die Aufgaben der OEMs prozentual noch weiter sinken und sich wahrscheinlich auf Montage und Systemkompetenz reduzieren. Damit steigt die Macht der Zulieferer und bringt die Autohersteller auch unter Zugzwang.
Der Weg von Tesla
Tesla hat dieses Dilemma schon vor Jahren erkannt und dementsprechende Investitionen getätigt. Neben den bereits erwähnten IT- und Hardware-Innovationen, wird besonders im Bereich Batterietechnik investiert. Bisher baute Panasonic die Akkus für Tesla, doch nach einigen Überwerfungen liefert LG Chem die Batterien. Gezielte Unternehmenskäufe sollen das Know How ins Unternehmen bringen. Etwa hat im Jahr 2019 der amerikanische Konzern ein kanadisches Unternehmen gekauft, das Systeme zur Herstellung von Akkuzellen entwickelt.(7)
E-Autos in Deutschland
Wie laufen die E-Auto-Innovationen in Deutschland? Lange wurde Tesla belächelt. „Die Konzepte liegen alle in der Schublade.“, hieß es noch vor drei, vier Jahren. Doch mittlerweile sind diese Stimmen verstummt. Die viele E-Autos wurden groß angekündigt und sind oft nicht über ein Konzept bei irgendeiner Automesse nicht hinaus gekommen.(8) „Ein E-Auto zusammen zu bauen ist keine hohe Kunst.“ Diesbezüglich wurden vor allem die deutschen Autohersteller eines besseren belehrt. Auch wenn ein E-Fahrzeug weniger Komponenten hat, ist der Zusammenbau und die Abstimmung auch nicht trivial, was man an folgenden Beispielen sieht:
Audi
Audi baut seit Anfang 2019 auf Basis der Q-Reihe sein erstes E-Auto. Gleich zu Beginn der e-tron Produktion gab es einen weltweiten Rückruf. Durch eine fehlerhafte Dichtung wäre es möglich gewesen, dass Wasser in die Batterie eindringt und damit zum Brand führt.(9) Gut, da nur knapp über 1700 Fahrzeuge ausgeliefert wurden, konnte der Fehler rasch behoben werden. Der Plan ist etwa 80.000 Einheiten pro Jahr ab 2020 zu produzieren. Bereits 2019 und dann auch Anfang 2020 kam es zu massiven Lieferproblemen bei den Akkus des e-trons, sodass nur 40.000 Akkus gesichert werden konnten.(10) Wie sich die Lage durch die Corona-Krise entwickelt, wird sich zeigen.
Mercedes
Beim Stuttgarter Autobauer liefen die ersten Elektroversuche auch nicht besser. Der EQC basiert auf der konventionellen SUV-Plattform des GLC und kam Anfang 2019 auf den Markt. Leider musste das Fahrzeug im Jahr 2019 auch bereits in die Werkstatt zum Tausch des elektrischen Antriebsstranges auf der Vorderachse zurück gerufen werden. Es bestand nämlich die Gefahr, dass ein Bolzen brechen könnte und damit die Vorderräder blockieren. Es waren etwa 1700 Fahrzeuge weltweit vom Rückruf betroffen.(11) Diesbezüglich machen sich keine Stückzahlen bezahlt.
BMW
Der bayrische Autobauer hat im Jahr 2013 als einziger deutscher Hersteller mit dem i3 ein innovatives Konzept vorgestellt und das Fahrzeug neu gedacht. Mein Fall ist der i3 nicht, denn für eine Vollausstattung im Wert von über 50.000 Euro nur 240 Kilometer Reichweite, ist keine wirkliche Alternative. Dennoch verkaufte sich das Fahrzeug ganz gut. Zwischenzeitlich kam BMW das i-Entwicklerteam abhanden und im September 2019 deutete der BMW-Marketingchef Pieter Nota an, dass es für den i3 keinen Nachfolger mehr geben wird.(12) Der Hersteller wolle die Elektrifizierung anderer Modelle vorantreiben. Jedenfalls ruderte BMW-Chef Oliver Zipse im Oktober 2019 wieder zurück und der i3 soll angeblich bis mindestens 2024 weiter gebaut werden.(13)
Was unter Elektrifizierung bei BMW zu verstehen ist, finde ich ganz spannend. BMW hat außer dem i8 kein anderes „E-Fahrzeug“. Doch der i8 ist schon immer eine Mogelpackung. Das Fahrzeug hat einen Verbrennungsmotor und einen E-Motor und schafft laut BMW-Homepage „bis zu 40 km bei kundennaher Reichweite“.(14) Daher handelt es sich um eine Mogelpackung. Zum BWM-Konzern gehört noch Mini, dort ist es aber auch nicht besser: Im Juli 2019 wurde der E-Mini vorgestellt, welcher ab 2020 ausgeliefert werden soll. Das Fahrzeug soll bei 35.000 Euro starten und zwischen 235 und 270 km Reichweite schaffen.(15) Ende April 2020 ist aber nur der Countryman Plug-in Hybrid auf der österreichischen Mini-Webseite gelistet, vom E-Mini fehlt jede Spur.(16)
Wenn das Elektromobilität ist, dann gute Nacht! Man merkt, dass BMW die Hybridtechnik mittels Plug In voran treibt, was sich sicherlich positiv auf deren CO2-Flottenwert auswirkt. Von wirklicher Elektriktrifizierung kann daher hier aber keine Rede sein.
VW
VW investiert in Richtung Batterietechnik und will in Salzgitter eine eigene Batteriefertigung hochziehen.(17) Aber ob das wirklich ernst gemeint ist, wird die Zeit zeigen.
Die Wolfsburger sind mit dem Gedanken in die Welt der E-Mobilität gestartet, einfach aus Kostengründen einen E-Motor und einen Akku in ein bestehendes Fahrzeug zu montiert um das bestehende Plattformkonzept zu nutzen. Leider greift das zu kurz, denn dadurch, dass viel weniger Teile nötig sind, kann man das Auto neu denken. Mit der ID-Plattform von VW soll das passieren. Das erste Fahrzeug aus dieser Serie ist der ID.3. Das Auto erinnert an die Mischung aus einem Polo und einem Golf. Mit 1,6 Tonnen ist das Fahrzeug mit Heckantrieb kein Leichtgewicht. Die Batterieleistung reicht von 45 kWh bis 58 kWh, später 77 kWh. Der Einstiegspreis beginnt bei 30.000 Euro, VW-üblich aber selbstverständlich ohne irgendwelche Zusatzausstattungen.(18) Die Produktion startete Ende 2019 und die Auslieferung soll im Sommer 2020 beginnen.
Brancheninsider berichten jedoch von massiven Problemen mit der Software,(19) was von Seiten VWs entsprechend dementiert wird. Anscheinend müssen die ersten 30.000 Stück der Serie noch manuell upgedatet werden, da das over-the-air System noch nicht funktioniert. Das bedeutet viel Spaß für die zuständigen Techniker, die jedes Auto separat überarbeiten müssen. Hiermit schließt sich wieder der Kreis zu den oben erwähnten Lieferketten. Wenn so viele verschiedenen Systeme integriert werden müssen, dann erhöht sich die Komplexität massiv.
Fazit
Tesla denkt über Mobilität und Vernetzung nach und entwickelt von diesen Aspekten aus ein passendes E-Auto. Deutsche Hersteller bauen ein möglichst passendes Auto, das halt elektrisch fährt. Welche Überlegung in Zukunft die richtige sein wird, wird die Zeit zeigen. Besonders in Zeiten von Corona werden die Karten neu gemischt. Tesla ist beispielsweise die Schließung der Autohäuser gut umgangen und hat die Fahrzeuge „kontaktlos“ ausgeliefert. Das bedeutet, die Kunden wurde vorher online auf die Übernahme via eines Videos instruiert und konnten nach der Bezahlung ihr Fahrzeug zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort abholen. Da man über die Tesla-App das Fahrzeug entsperren kann, war keine persönliche Übergabe mehr nötig.(20)
Wie reagieren die deutschen Hersteller: Der Ruf nach einer neuen „Abwrackprämie“ wird laut.(21) Das bedeutet, dass die deutschen SteuerzahlerInnen dafür aufkommen müssen, dass die Autohersteller subventioniert werden. Anstatt die bisherigen Anlässe (Finanzkrise, Klimakatastrophe) in den letzten Jahren ernst zu nehmen und das Geschäftsmodell massiv zu überdenken, sollen andere das Fehlverhalten ausbügeln. Es gab bereits vor März einen Rückgang der Fahrzeugverkäufe in Mitteleuropa, denn wie bereits häufiger im #RestartThinking Blog besprochen, ändert sich das Mobilitätsverhalten vieler Menschen, nur das wurde seitens der deutschen Autohersteller negiert.
Eine Abwrackprämie verlängert das Leiden, auf Kosten der Umwelt und auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger, die diese tatsächlich bezahlen müssen. Die kommenden Wochen und Monate sind sehr spannend, wir von Buchinger|Kuduz werden weiterhin für Sie berichten.
Haben Sie Fragen oder Kommentare, dann freue ich mich auf Ihre Nachricht!
Beste Grüße,
Ihre Marlene Buchinger
Quellen:
- Asia Nikkei Artikel über den technischen Vorsprung von Tesla
- Wikipedia Erklärung Teardown – Link nicht mehr verfügbar
- Definition Künstliche Intelligenz Europäische Kommission
- Spiegel.de über den technischen Vorsprung des amerikanischen E-Auto-Pioniers
- VDA über den Anteil der Zulieferer an der Autoproduktion – Link nicht mehr verfügbar
- Anteil Bauteile Elektroauto vs. Verbrennertechnologie
- Elon Musk‘ Strategischer Zukauf von Batteriehersteller – Link nicht mehr verfügbar
- Ankündigungen von deutschen E-Autos ohne Ergebnis
- Audi e-tron Rückruf wegen Brandgefahr
- Audi Produktionsprobleme wegen Akkumangel
- Mercedes EQC Rückruf wegen Bolzenbruch
- Möglicher Produktionsstopp BWM i3
- Korrekturmeldung Produktionsstopp BMW i3
- BMW Auswahl Alternative Antriebe in Österreich – Link nicht mehr verfügbar
- Vorstellung E-Mini
- Mini Auswahl Alternative Antriebe in Österreich
- VW investiert in Batteriezellenfertigung – Link nicht mehr verfügbar
- Details VW ID.3
- Software Probleme beim VW ID.3
- Auslieferrekord trotz Corona-Krise für Tesla
- Abwrackprämie für deutsche Autoindustrie gefordert