Derzeit wird in Österreich ein Thema angeregt diskutiert: Tempo 140 auf österreichischen Autobahnen anstatt der bisher gültigen 130 km/h Begrenzung.
Mit den Argumenten der Zeitersparnis und dass solche Geschwindigkeiten heutzutage technisch leicht möglich sind, werden derzeit die ersten Teststrecken eröffnet und kostenintensiv beworben.
Mir fehlen dazu die Worte, denn außer Stammtisch wirksamer Parolen lässt sich wenig Sinn hinter dieser Maßnahme erkennen. Da diese Diskussion häufig emotional geführt wird, möchte ich in diesem Beitrag einige Fakten bereitstellen:
Tatsächliche Zeitersparnis
Fährt man beispielsweise von Salzburg (Autobahnanschluss Messe) die A1 Richtung Wien, beträgt die Entfernung zum Knoten Steinhäusl (Abzweigung A21 und A1) genau 260 Kilometer. Durch ein dauerhaftes Tempo von 140 km/h über die gesamte Strecke würde sich die Fahrtdauer um 8 Minuten 14 Sekunden verkürzen.
Die eine Betonung liegt hier auf „würde“. Da auf dieser, wie auch auf den meisten anderen Autobahnen, ein hohes Verkehrsaufkommen herrscht, kann man nicht durchgängig 140 km/h fahren. Wir sind vor Kurzem auf der A1 von Wien nach Salzburg gefahren. Dort befinden sich zwei der Tempo 140-Testzonen. In beiden Abschnitten war der Verkehr am frühen Nachmittag (zwischen 13.00 und 15.00 Uhr) so dicht, dass man nicht einmal 130 km/h fahren konnte.
Die andere Betonung liegt auf „dauerhaft“. Es geht nicht um die Spitzengeschwindigkeit, sondern darum das Tempo gleichmäßig zu halten. Da ich meistens mit dem Tempomat fahre, fällt mir auf, wie viele Leute zwischen 120 und 135 km/h hin und her pendeln. Geht man davon aus, dass auf der Hälfte der Strecke das Tempo 140 überhaupt möglich wäre und auch tatsächlich gefahren wird, schrumpft der Zeitvorteil auf 4 Minuten 7 Sekunden im Vergleich zu Tempo 130.
Die Grenzen der Physik kann man nicht überlisten
Ich habe mir zu dem Thema eine Fachmeinung eingeholt. Dr. Mario Buchinger ist promovierter Physiker und hat mir das Problem mit höheren Geschwindigkeiten wie folgt erklärt:
Der Straßenverkehr lässt sich vereinfacht wie ein Mehrteilchensystem in zwei Dimensionen beschreiben: Jedes dieser Teilchen bewegt sich mit einer individuellen Geschwindigkeit. In solchen Systemen weiß man, dass mit zunehmenden Deltas der individuellen Geschwindigkeiten die Staueffekte zunehmen. Oder anders gesagt mit ähnlichen Geschwindigkeiten (z.B. 80 oder 90 km/h für LKWs und 100 bis 120 km/h für PKWs) sind die Deltas der Geschwindigkeiten und damit die Stauanfälligkeit geringer.
Höhere Geschwindigkeiten führen also in den meisten Fällen nicht zu einer Zeitersparnis, sondern eher zu einer erhöhten Reisedauer, da die Staubildung zunimmt.
Bauliche Einschränkungen
Manche Strecken geben aufgrund von baulichen Einschränkungen ein höheres Tempo einfach nicht her. Beispielsweise sind die Tempolimits auf der österreichischen A2 von Wien nach Graz über den Wechsel, mit 100 km/h bei schönem Wetter und 80 km/h bei Regen und Schnee, absolut angemessen, denn die Straße ist kurvenreich. Die Unfallzahlen konnten dank Tempolimits und deren Überwachung mittels Section Control massiv eingedämmt werden.
Gerade erhitzte auch ein Fall in Kärnten die Gemüter: Auf der A2 wurde zwischen Griffen und St. Andrä auf zwei Kilometern Tempo 100 verhängt, da ein Kurvenradius zu eng ist. Da gingen die Wogen hoch, auch wenn der Zeitverlust nur 17 Sekunden beträgt. Es wird auch vernachlässigt, dass auf der Strecke noch zahlreiche Tunnel sind, in denen man sowieso nur 100 km/h fahren darf. Dafür wird anschließend eine Stunde Wartezeit im Sommerreiseverkehr am Karawankentunnel ohne Murren in Kauf genommen. (1)
Umweltbelastung
In der ganzen Diskussion wird ein Thema meist komplett ausgeklammert: Der höhere Abgasausstoß durch die höheren Geschwindigkeiten. Das österreichische Umweltbundesamt (2) hat errechnet, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß durch Tempo 140 um 10,6 % steigt. Der Stickstoff-Ausstoß erhöht sich dann um +16,4 %, die Feinstaub-Belastung sogar um +18,6 %.
Diese Zahlen sind, wie bereits erwähnt, Durchschnittswerte. Durch starkes Beschleunigen von Stauende zu Stauende dürften die Emissionswerte weitaus höher sein. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein paar Sekunden mehr wert sind.
Würde man das Tempo auf 100 km/h auf Autobahnen heruntersetzen, könnten dadurch 10,2 % CO2, 19,3 % Stickstoff und 10,6 % Feinstaub im Vergleich zu Tempo 130 eingespart werden. Besonders im Transit geplagten Tirol, wo bereits die entsprechende Regelung für Tempo 100 gilt, verstehe ich Leute nicht, die jetzt nach Tempo 140 schreien.
Kleiner Exkurs: Manche werden sich jetzt vielleicht fragen, wie das mit den Elektrofahrzeugen aussieht. Es gab ja bereits mehrere Klagen von E-Auto-Fahrern gegen immissionsbedingte Tempolimits. Aus Gründen der Fahrsicherheit finde ich solche Ausnahmen erstens nicht sinnvoll, denn das Problem mit den Geschwindigkeitsdifferenzen trifft auch auf E-Fahrzeuge zu. Zweitens können viele „normale“ Autofahrer ein E-Auto nicht von einem normalen Fahrzeug unterscheiden und würden hinterher rasen. Und drittens ist die erhöhte Geschwindigkeit auch bei E-Fahrzeugen im Verbrauch deutlich sichtbar. Ich fahre immer knapp unter 130 (Tempomat auf 128 oder 129) um meine Reichweite zu maximieren.
Sicherheit
Auch wenn die Fahrzeugsicherheit besser geworden ist und höhere Geschwindigkeiten technisch möglich sind, so ist der Mensch nicht entsprechend besser geworden. Die häufigste Unfallursache ist Unachtsamkeit. Der VCOE hat berechnet das Telefonieren am Steuer die Reaktionszeit durchschnittlich um 0,5 Sekunden verlängert. Das Schreiben von SMS oder Bedienen von Navigationsgeräten braucht etwa zwei Sekunden. Damit ist der Bremsweg bereits bei Tempo 130 zwischen 20 bis 72 Meter länger. Bei Tempo 140 km/h wird der zugelegte Wege entsprechend noch länger. (3)
Das Fazit zu Tempo 140
Die Idee des österreichischen Verkehrsministers geht zu Lasten unserer Gesundheit und der Umwelt, denn der Abgasausstoß und die Gefahren erhöhen sich dadurch noch weiter. Aufgrund der hohen Verkehrsdichte ist der Vorschlag nicht sinnvoll. Gelassenheit zahlt sich weiterhin aus, denn im Stau sind alle gleich schnell. Und dort verbringen der österreichische Autofahrer bzw. die österreichische Autofahrerin durchschnittlich 25 Stunden pro Jahr (1).
Was ist Ihre Meinung zu dem Thema? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung.
Beste Grüße,
Ihre Marlene Buchinger
Quellen:
- Tempo 100 auf A2
- Abgasausstoß je nach Geschwindigkeit – Studie Umweltbundesamt
- VCOE Untersuchung zur häufigsten Unfallursache Unaufmerksamkeit – Link nicht mehr verfügbar