Das Thema Wasserstoff ist für mich wie ein Krimi. Ursprünglich dachte ich, in zwei Beiträgen ist das Thema ausführlich für Sie zusammengefasst. Doch umso mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr – teilweise skurrile – Aspekte treten zu Tage. Nachdem es in den ersten beiden Blogbeiträgen um die Erzeugung und Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff gegangen ist, wollen wir uns in diesem Artikel die Visionen für den Stoff der Träume ansehen. Wohin soll die Reise gehen? Wird Wasserstoff die Technologie der Zukunft?
Visionen
Welche internationalen Pläne gibt es? Was plant man auf EU-Ebene und wie sehen die Wasserstoff-Strategien in Deutschland und Österreich aus? Finden Sie mehr in den folgenden Abschnitten.
1) Internationale Pläne
Die Internationale Energie Agentur (IEA) hat im Auftrag von Japan im Rahmen dessen G20-Vorsitzes das Thema Wasserstoff genauer untersucht und folgendes festgestellt (1):
“Hydrogen is already widely used in some industries, but it has not yet realised its potential to support clean energy transitions. Ambitious, targeted and near-term action is needed to further overcome barriers and reduce costs.”
Wie wir bereits aus den Zahlen für den „grünen“ Wasserstoff sehen konnten, ist die Formulierung „das Potential wurde noch nicht verwirklicht“ sehr nett formuliert. Um das Henne-Ei-Problem zu lösen, sieht die IEA vier Wertströme, die eine Skalierung vorantreiben sollen (2):
- Bestehende Häfen sollen Schaltzentralen für Wasserstoff werden, da auch bereits jetzt in diesen Gegenden häufig Raffinerien angesiedelt sind. Wenn diese Anlagen statt „grauem“ auf nachhaltig produzierten Wasserstoff umsteigen, verspricht sich die IEA Skaleneffekte und damit sinkende Kosten. Zudem könnte der Wasserstoff Schiffe antreiben oder in nahegelegenen Industrieanlagen verwendet werden.
- Die bestehende Gasinfrastruktur soll verwendet und das Erdgas durch Wasserstoff substituiert werden. Die IEA nennt hier einen Eingangswert von 5 Prozent. Wenn man von einer weltweiten Erdgas-Produktion von etwa 3,3 Mrd. Tonnen (Produktionswert im Jahr 2018) ausgeht (3), wären das 165 Millionen Tonnen Gas, die es zu ersetzen gilt. Nimmt man bei dieser Menge Erdgas einen durchschnittlichen Methananteil von 80 % an, müssten somit 132 Millionen Tonnen Methan mit einem Heizwert von 1834,8 Mrd. kWh subsituiert werden. Bei einem durchschnittlichen Heizwert von 33,3 kWh pro Kilo Wasserstoff (4), wären damit etwa 55 Megatonnen Wasserstoff nötig.
Somit entsprechen 5 Prozent der Erdgassubstitution einem Mehrbedarf von 80 Prozent der heutigen Produktionsmenge (etwa 70 MT H2 p.a.). Nur nochmals kurz zur Erinnerung: Derzeit werden nur etwa 0,4 Megatonnen Wasserstoff regenerativ hergestellt und im Jahr 2030 soll der Anteil mit erneuerbaren Energiequellen oder CCS lediglich knappe 8 Megatonnen betragen. Da ist somit noch einiges zu tun.
- Zudem soll die Anwendung von Brennstoffzellen im Transportbereich ausgebaut werden v.a. bei Autos, LKWs und Bussen mit hoher Laufleistung zum Personen- und Gütertransport.
- Außerdem sollen erste Schiffstransportrouten etabliert werden um den internationalen Handel mit Wasserstoff zu starten. Dabei will man vom globalen LNG (Liquefied Natural Gas, also Flüssigerdgas)-Handel lernen.
Exkurs “LNG around the world”
Nein, dabei handelt es sich nicht um eine neue Pop-Band aus Südkorea. Flüssigerdgas wird aufbereitet in dem alle anderen Gasbestandteile bis auf das Methan entfernt werden. Der Methangehalt im LNG liegt dann bei etwa 98 %. Anschließend wird das Gas bei -161 bis -164 Grad Celsius verflüssigt, da es dann nur 1/600 des gasförmigen Volumens aufweist. Damit kann man es mit Spezialschiffen über längere Strecken transportiert werden. Allerdings benötigt der Aufwand für die Aufbereitung und Verflüssigung etwa 10 bis 25 Prozent des Energiegehalts des Gases (5). Der weltweite Handel mit Flüssiggas hat sich seit dem Jahr 2000 bis 2018 verdreifacht und liefert mittlerweile 14 % des weltweiten Gasverbrauchs. Oder anders gesagt 314 Millionen Tonnen Gas. Die führenden Nationen sind Qatar, die USA, Kanada, Russland und Australien (6).
Geplante weltweite Projekte
Jedenfalls sieht die IEA großen Handlungsbedarf, um Wasserstoff in den langfristigen Energieplänen verankern zu können. Ankündigungen für Projekte sind bereits vorhanden – in der Auswertung „Hydrogen Project Pipeline“ der IEA sind Anlagen mit einer Gesamtnennleistung von knapp 50 GW gelistet (7). Allerdings betrug die Gesamtkapazität der weltweit in Betrieb befindlichen Anlagen im Jahr 2019 erst knapp 100 MW, also 0,2 % der Nennleistung der genannten Projekte. Die bis zum Jahr 2019 betriebenen Elektrolyseure hatten alle eine maximale Nennleistung kleiner 10 MW (8).
Um die Umsetzung voran zu treiben, nennt die IEA als Maßnahmenfelder etwa die vermehrte staatliche Nachfrage nach „grünem“ anstelle „grauem“ Wasserstoff. Auch sollten die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, beispielsweise durch entsprechende Forschungsförderung, geschaffen werden (9). Wie sieht daher der Plan für die Europäische Union, Deutschland und Österreich aus? Lesen Sie mehr dazu im folgenden Abschnitt.
2) Die Europäische Wasserstoffstrategie
Im Rahmen des Green Deals und dem Aufbauplan „Next Generation EU“ hat die Europäische Kommission Wasserstoff bei den Investitionen priorisiert. Die Idee dahinter, den europäischen Wirtschaftsraum zu stärken und von ausländischen Importen weniger abhängig zu machen, sowie Arbeitsplätze zu schaffen und einen Technologievorsprung zu erreichen, ist auf jeden Fall begrüßenswert. Neben erneuerbaren Energiequellen wird Wasserstoff als wichtiger Bestandteil gesehen, um das EU-Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 zu erreichen (10). Ein wertstromübergreifendes System soll in folgenden Schritten erreicht werden:
- Als ersten Schritt wird bis 2024 einerseits die Errichtung von Elektrolyseuren mit einer Leistung von mindestens 6 GW sowie die Erzeugung von bis zu einer Million Tonnen (1 Mt) Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen unterstützt (11). Nur zur Erinnerung im Jahr 2019 wurden nur 0,4 Mt „grüner“ und „blauer“ Wasserstoff weltweit erzeugt und die Produktionskapazität liegt bei unter 100 MW weltweit – diesbezüglich ist also noch einiges zu tun.
Die Elektrolyseure sollten in der Nähe von Anlagen mit hohem Bedarf, etwa bei Raffinerien, chemischen Produktionen und Stahlwerken, errichtet werden. Wenn es möglich ist, sollen auch bestehende Wasserstoffproduktionsanlagen, die hauptsächlich mit Erdgas operieren, ersetzt werden. Zudem ist geplant, in dieser Phase auch das Wasserstoff-Tankstellennetz auszubauen und die Planung eines Wasserstoff-Leitungsnetzes voranzutreiben.
- Im Zeitraum 2025-2030 sollen laut Plan der EU Elektrolyseure mit einer Mindestleistung von 40 GW in der EU installiert und bis zu 10 Megatonnen Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen in der EU produziert werden (12). Zusätzlich sollen 40 GW Produktionskapazität in Nachbarländern der EU installiert werden, mit dem Ziel diesen Wasserstoff in die EU zu importieren (13). Bei den geplanten Produktionskapazitäten steht man vor den gleichen Herausforderungen, wie bereits im vorherigen Absatz genannt: Wie ist der massive Ausbau zu bewerkstelligen und das nicht nur innerhalb der EU sondern auch hinsichtlich der Import-Kapazitäten?
Die genannte Produktionsmenge von 10 Mt kann erreicht werden, wenn es sich um die kumulierte Menge über fünf Jahre handelt. Es war leider aus dem Kommunikationspapier nicht ersichtlich, ob die Menge kumuliert oder jährlich zu verstehen ist. Denn, wie bereits erwähnt, rechnet die Internationale Energie Agentur (IEA) mit einer weltweiten Gesamtproduktionsmenge von 7,92 Megatonnen im Jahr 2030.
- Laut den Plänen der EU soll ab dem Jahr 2030 grüner Wasserstoff in all den Sektoren eingesetzt werden, in denen die Emissionen nur schwer gesenkt werden können (14). Dazu zählen vor allem der Verkehr, in dem Wasserstoff oder die synthetischen Kraftstoffe (siehe E-Fuels) eingesetzt werden sollen (15). Außerdem sollen in diesem Abschnitt auch schon signifikante Fortschritte bei einem transeuropäischen Wasserstoff-Leitungsnetz gemacht sein (16).
- Bis zum Jahr 2050 soll der Wasserstoffanteil im europäischen Energiemix von derzeit weniger als 2 % auf 13 bis 14 % gesteigert werden (17).
Weitere Details der europäischen Wasserstoffstrategie
Die EU-Kommission hat sich zudem Gedanken über die Lieferkette und die Rohmaterialien für die Gewinnung von Wasserstoff gemacht, denn 19 von 29 Rohmaterialien für Brennstoffzellen und Elektrolyseure sind in der EU nicht vorhanden (18).
Ein weiterer Satz im Papier der EU-Kommission hat mich neugierig gemacht:
A life-cycle approach is also needed to minimize the negative climate and environmental impacts of the hydrogen sector (19).
Stimmt, Wasserstoff ist ein indirektes Klimagas, da es die Verteilung von Methan und Ozon in der Atmosphäre stört. Es wird bei der Produktion, der Lagerung und Verteilung sowie der Verwendung von Wasserstoff zu Leckagen kommen. Je nach Menge dieser Austritte ist die klimaschonende Wirkung im Vergleich zu fossilen Technologien reduziert (20). Hinsichtlich der Sicherheit ist die Brennbarkeit von Wasserstoff zu berücksichtigen und größere Mengen sind für Menschen giftig (21).
Wo soll der Strom für diesen Wasserstoff herkommen?
Laut den Plänen der EU soll der Wasserstoff primär mit Strom aus Wind- und Photovoltaikanlagen hergestellt werden. Entsprechende Initiativen zum großflächigen Ausbau von Strom aus erneuerbaren Quellen werden ebenfalls vorangetrieben. Doch dann kommt die Einschränkung (22):
In the short and medium term, however, other forms of low-carbon hydrogen are needed.
Das bedeutet, bis diese Kapazität vorhanden ist, werden andere kohlenstoffarme Produktionsformen benötigt. Und hier sollten die Alarmglocken läuten. Denn die EU hat im November 2020 eingeräumt, dass auch Wasserstoff als Atomstrom als CO2-arm zu betrachten sei (23), dagegen hat die grüne österreichische Umweltministerin Gewessler allerdings im Dezember 2020 ein Veto eingelegt (24). Das Veto ist als berechtigt anzusehen, da Atomstrom nur im stabilen, laufenden Betrieb klimaneutral ist. Rechnet man Bau, Anreicherung und Aufarbeitung der Brennstäbe sowie eine irgendwann fällige Entsorgung dazu, ist Kernenergie kaum weniger klimaschädlich als Kohleenergie. Dazu kommt noch das große Maß an Unsicherheit im Betrieb.
Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen
Dazu rechnet die EU-Kommission mit einem notwendigen Zubau der erneuerbaren Energiequellen bis zum Jahr 2050 in der Höhe von 25 %, um diese Menge an Wasserstoff überhaupt nachhaltig produzieren zu können (25). Kann das klappen?
Grundsätzlich ja. Vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2019 stieg der regenerative Anteil am Stromverbrauch über alle 27 EU Länder gerechnet von 26,85 auf 34,08 Prozent, also um knapp 27 Prozent (26). Wie gesagt, handelt es sich hierbei nur um den Stromverbrauch. Andere Bereich wie Wärme oder Mobilität sind ebenfalls energieintensiv und sollen auch emissionsärmer gemacht werden.
Daher sollte man auch den regenerativen Anteil am Bruttoenergieverbrauch (27) betrachten: Im Jahr 2019 betrug der Anteil erneuerbarer Energie am Bruttoenergieverbrauch im Schnitt der 27 EU-Länder 19,73 % (Österreich 33,6 %, Deutschland 17,3 %) (28).
Somit basieren über 80 % unseres Energieverbrauchs in Europa nach wie vor auf fossilen Brennstoffen. Wasserstoff mag zwar Teile davon zu substituieren, aber dann ist die Frage, wo die erneuerbare Energie dafür herkommt.
3. Deutschlands Pläne
Die größte Volkswirtschaft der EU hält das Thema Wasserstoff besonders hoch. Schon im Jahr 2019 verlautbarte der Energie- und Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dass
„Deutschland die Wasserstoffnation Nummer 1 werden“
wolle (29). Am 10. Juni 2020 war es dann soweit, die „Nationale Wasserstoffstrategie“ wurde vorgestellt und Herr Altmaier wiederholte die oben genannte Aussage und ergänzte:
„Er (Anm. Wasserstoff) wird als Energieträger der Zukunft sowohl in Deutschland als auch weltweit einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dabei wird Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen, wie wir es vor 20 Jahren bereits mit der Förderung der Erneuerbaren Energien haben (30).“
Exkurs: Deutschland und die erneuerbaren Energien
Zum Thema der Energiewende in Deutschland könnte ich jetzt über mehrere Seiten referieren, doch das erspare ich Ihnen an dieser Stelle und versuche mich kurz zu fassen. Ja, Deutschland war bei der erneuerbaren Energie einmal Markt- und Technologietreiber. Anstelle das ursprünglich gut gemachte EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) maßvoll anzupassen, wurde im Sommer 2011 ein massiver Schnitt bei den Photovoltaik-Förderungen beschlossen, der nur neun Monate später bereits in Kraft trat.
In der Realität brachte das das Aus für viele Projekte, da die Rahmenbedingungen wesentlich verändert waren. Folglich brach der Zubau an PV-Anlagen von 2012 auf 2013 um etwa die Hälfte ein und viele Unternehmen verschwanden. Da im Bereich Photovoltaik – etwa im Vergleich zu einem großen Wasserkraftwerk – eher kleinteilig gearbeitet wird, verschwanden binnen eines Jahres (!) etwa 50.000 Jobs aus der Branche (31). Die bis dahin mühsam in Deutschland aufgebauten Produktionslinien und das Wissen aus Entwicklung, Projektierung und Monitoring gingen teilweise verloren. Der jährliche Zubau an PV-Anlagen ging zwischen 2010 und 2017 um 80 % zurück (32). Wenn man diesen Aktionismus mit dem deutschen Kohleausstieg mit Restlaufzeiten bis 2038 vergleicht, wirkt es wie ein Hohn.
Danach ruhte sich die deutsche Politik auf dem bis dahin geschaffenen Erfolg aus. Mehrere EEG-Novellen folgten und „verschlimm-besserten“ das System nur. Dazu kamen teilweise Verhinderungsplanungen, wie die bayrische 10H-Regelung für Windanlagen, oder schlichtes Chaos beim Netzausbau – für das übrigens auch Herrn Altmaier politisch verantwortlich ist. Mittlerweile sind auch viele Jobs in der Windindustrie bedroht und im Vergleich zum Jahr 2011 gab es im Jahr 2018 27 % weniger Arbeitskräfte im Bereich der Erneuerbaren Energie oder anders gesagt mehr als 100.000 – zum Teil hochqualifizierte – Jobs wurden vernichtet (33). In dieser Zahl sind die betroffenen Zulieferbetriebe nicht mitgerechnet, hier spricht man branchenintern von etwa weiteren 400.000 Arbeitsplätzen.
Wenn daher jetzt von einer Vorreiterrolle beim Wasserstoff geredet wird, ziehe ich unweigerlich Parallelen zur erneuerbaren Energie. Das mag alles schön klingen, aber man muss es auch längerfristig durchziehen. Und ohne den Strom aus den erneuerbaren Energien wird das mit dem grünen Wasserstoff leider nichts werden. Entschuldigung, bei dem Thema werde ich emotional, da ich auch zu den 100.000 Arbeitskräften zählte. Aber wie soll die Vorreiterposition in Deutschland genau geschaffen werden?
Deutschlands „Nationale Wasserstoffstrategie“ (NWS)
Die Nationale Wasserstoffstrategie wurde im Juni 2020 vorgestellt und ist an die Positionen der EU angelehnt. Das Ziel ist es grünen Wasserstoff zu erzeugen und damit das „Ziel der Treibhausgasneutralität in 2050“ zu erreichen, in dem der Stoff wichtiger Teil des deutschen Energiesystems wird. Es ist in dem Papier auch von Sektorkopplung, also der sinnvollen Verknüpfung verschiedener Anwendungen, die Rede und dass vor allem Branchen mit hohem Treibhausemissionen dekarbonisiert werden sollen (34).
Da momentan – wie bereits ausgiebig erläutert – viel zu wenig grüner Wasserstoff produziert wird, soll in den kommenden zehn Jahren auch „blauer“ oder „türkiser“ Wasserstoff zum Einsatz kommen (35). Das klingt recht pragmatisch und unkompliziert, doch zur Erinnerung: „Türkiser“ Wasserstoff entsteht durch Methanpryrolyse bei der das CO2 aus dem Methan als Feststoff übrigbleibt. Zwei von drei dieser Pyrolyseverfahren sind noch im Versuchsstadium und vom großflächigen Einsatz weit entfernt. Beim „blauen“ Wasserstoff wird das CO2, das bei der Aufspaltung der fossilen Grundstoffe übrigbleibt, abgeschieden und soll eingelagert werden, daher stammt der Begriff Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Über CCS-Versuchsanlagen ist man hier auch noch nicht hinausgekommen (36).
Mengenlehre
Derzeit werden in Deutschland jährlich 55 TWh Wasserstoff verbraucht (37). Bis 2030 wird ein Zuwachs auf 90 bis 110 TWh p.a. in Deutschland prognostiziert (38). Um einen Teil dieses Bedarfs regenerativ decken zu können, soll bis 2030 eine Produktionskapazität von 5 GW errichtet werden. Damit könnten etwa 14 TWh Wasserstoff erzeugt werden, was dann 12 bis 15 % des prognostizierten Bedarfs entspricht. Man sieht auch hier – der Weg zur Nachhaltigkeit ist weit.
Anschließend sollen – wenn möglich – bis 2035 ansonsten bis 2040 weitere 5 GW „grüne“ Wasserstoffproduktionskapazität errichtet werden. Bis 2050 muss die Produktion noch weiter massiv ausgebaut werden, denn das BMWi rechnet allein für die Umstellung der Stahlproduktion mit 80 TWh Wasserstoff und für die Umstellung der deutschen Raffinerie- und Ammoniakproduktion weitere 22 TWh benötigt (39). Über den gesamt prognostizierten Bedarf 2050 gibt es in der NWS keine Angaben. Die Szenarien reichen von 250 bis 800 TWh (40).
Daher sollen parallel zur Wasserstoffproduktion auch die dafür nötigen Kapazitäten bei der „Offshore- und Onshore-Energiegewinnung“ entstehen um den Strombedarf (teilweise) abzudecken. Als erster Schritt plant man 20 TWh erneuerbarer Strom bis 2030. Ist das viel?
Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 455 TWh Energie (Strom, Wärme, Kraftstoffe) erneuerbar erzeugt, der Stromanteil betrug davon 53 %, etwa 241 TWh (42). Somit entspräche der zusätzliche Stromaufwand für die geplante „grüne“ Wasserstoffproduktion im Jahr 2030 einem Zubau von 8,3 %, für die nächsten 5 GW ebenso.
Zwischen 2013 und 2019 konnte Deutschland den regenerativen Anteil der Stromproduktion um etwas mehr als 60 % steigern (43). Mit einem ähnlichen Zuwachs wäre es möglich die in den ersten beiden Abschnitten geplanten Elektrolyse-Kapazitäten von 10 GW mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu versorgen. Dann wären 28 TWh Wasserstoff „grün“ produziert, das entspräche etwa 25 % des Bedarfs im Jahr 2030.
Nimmt man die Menge von 102 TWh für Stahl- und chemische Industrie her bzw. den prognostizierten Gesamtwasserstoffverbrauch im Jahr 2030 (90 – 110 TWh) über alle Sektoren, werden etwa 146 TWh erneuerbare Energieproduktionskapazitäten benötigt. Dann würden 60 % der gesamten heutigen regenerativen Stromproduktion aus Deutschland für die Produktion dieser Menge an Wasserstoff verwendet werden.
Da aber im Jahr 2050 ein Verbrauch von 250 bis sogar 800 TWh Wasserstoff prognostiziert wird, ist nicht klar wie die dafür nötige Energie aufgebracht werden soll. Und hier ist dezidiert noch nicht der Energiebedarf von Power to X eingerechnet (44).
Jedenfalls stellt der deutsche Staat erstmals 9 Mrd. Euro für das Thema Wasserstoff bereit, davon sollen 7 Mrd. in den „Markthochlauf von Wasserstofftechnologien in Deutschland“ investiert werden. Die restlichen 2 Mrd. sollen für internationale Projekte zur Verfügung stehen (45).
Deutschlands globale Führungsrolle
Was aus der NWS heraussticht, sind mehrmalige Hinweise, dass Deutschland auch in Zukunft „ein großer Energieimporteur“ bleiben wird. Aber auch beim Wasserstoff wird Deutschland den größten Teil importieren müssen (46). Wie passt das zur angekündigten Führungsrolle?
In der DWS heißt es
„Deutschland hat jetzt die Chance, im internationalen Wettbewerb eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und dem Export von Wasserstoff- und Power-to-X-Technologien (PtX) einzunehmen (47).“
Klar, es geht um einen Milliardenmarkt und man – also viele Player in der Industrie – versprechen sich davon neue Chancen.
Wenn man die Datenbank der weltweiten Wasserstoffprojekte der Internationalen Energie Agentur seziert, zeigt sich die bis zum Jahr 2020 installierte Produktionskapazität vor allem in Deutschland, gefolgt von Japan und Österreich befindet (48). Bevor Sie jetzt in Jubelstürme ausbrechen, wir sprechen hier von etwas über gesamt 50 MW Kapazität, damit sind wir von den oben angeführten Bedarfsmengen noch Lichtjahre weit entfernt.
Der deutsche Optimismus stützt sich allerdings auf diese Zahlen, da die Kompetenzen im Bereich der Brennstoffzelle im KFZ-Bereich, wie bereits gezeigt, in Asien liegen und diese Hersteller derzeit auch im Bereich Schwerlastfahrzeuge die Nase vorne haben. Die deutsche Autoindustrie pocht daher ganz stark auf den Bereich Power to X, was allerdings vom energetischen Standpunkt aus die Schlechteste aller Lösungen darstellt. Ob der momentane Vorsprung bei den Wasserstoffproduktionsanlagen auf lange Sicht wirklich eine weltweite Führungsrolle bringen wird, muss hinterfragt werden, denn andere Nationen, wie Kanada, Korea oder Japan, sind ebenfalls bereits auf den Wasserstofftrend aufgesprungen und bauen rasch Kapazitäten und damit Wissen auf (49).
4. Österreichs Pläne
Bei den Recherchen zu diesem Abschnitt musste ich etwas lachen, denn ich stieß auf die Ankündigung von Bundeskanzler Kurz im 2019:
„Österreich soll zur Wasserstoffnation Nummer 1 werden (50).“
Das kommt mir irgendwoher bekannt vor… Seit 2019 ist in dieser Hinsicht in Österreich nicht allzu viel passiert. Die vorherige Regierung war im Umweltministerium nur auf Marketing bedacht, bis auf schöne Ankündigungen ist nichts geblieben. Etwa wurde Österreich in dieser Zeit von der EU gerügt. Wir haben im #RestartThinking Blog berichtet, der Nationale Energie- und Klimaplan (kurz NEKP) wurde als nicht genügenden zurückgewiesen und musste überarbeitet werden (51).
Dann kam der Ibiza-Skandal, die Neuwahl und seit Anfang 2020 muss der grüne Koalitionspartner die Versäumnisse aus früheren Perioden ausbaden – und das noch dazu während eine weltweite Pandemie herrscht. Daher wurde die österreichische Wasserstoffstrategie auf 2021 verschoben.
Wie geht es weiter
Nach all diesen zumeist hochtrabenden Plänen bleibt die Frage übrig, können diese Visionen Wirklichkeit werden oder handelt es sich nur um Wunschvorstellungen? Darum geht es im vierten Teil des #RestartThinking Blogs.
Haben Sie in der Zwischenzeit Fragen oder Kommentare? Dann freue ich mich auf Ihre Nachricht.
Herzliche Grüße
Marlene Buchinger
Quellen:
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen, abgerufen am 20.01.2021
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen, abgerufen am 20.01.2021
- IEA – Data & Statistics – 2018, abgerufen am 23.02.2021
- HRS – Heiz- und Brennwerte, abgerufen am 21.01.2021 – Link nicht mehr verfügbar
- Wikipedia.de – Flüssigerdgas, abgerufen am 15.03.2021
- Forbes, abgerufen am 15.02.2021
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen Project Database, abgerufen am 15.03.2021
- IEA, Report „The Future of Hydrogen”, S. 45
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen, abgerufen am 15.03.2021
- Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland, abgerufen am 17.03.2021
- Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland, abgerufen am 17.03.2021
- Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland, abgerufen am 17.03.2021
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 1
- Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland, abgerufen am 17.03.2021
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 7
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 15
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 1
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 10
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 10
- Science for Environment Policy: European Commision DG Environment News Alert Service, abgerufen am 17.03.2021
- Chemie.de – Lexikon – Wasserstoff, abgerufen am 17.03.2021
- European Commission, Communication “A hydrogen strategy for climate-neutral Europe”, 07/2020, S. 5
- Heise, abgerufen am 15.03.2021
- Wiener Zeitung, abgerufen am 17.03.2021
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- Eurostat – Share of energy from renewable sources, online data code: NRG_IND_REN, abgerufen am 23.03.2021
- Eurostat – Glossar: Bruttoinlandsverbrauch an Energie, abgerufen am 17.03.2021
- Eurostat – Share of energy from renewable sources, online data code: NRG_IND_REN, abgerufen am 23.03.2021
- BMWi – Pressemitteilung – 09.10.2019, abgerufen am 18.03.2021
- BMWi – Pressemitteilung – 10.06.2020, abgerufen am 18.03.2021
- Strom-Report.de, abgerufen am 18.03.2021
- Strom-Report.de, abgerufen am 18.03.2021
- BMWi – Aufstellung „Bruttobeschäftigung durch erneuerbare Energien 2000 bis 2018, abgerufen am 18.03.2021
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 1
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 3
- Fraunhofer ISI, abgerufen am 18.03.2021
- BMWI Deutschland, „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Stand 06/2020, Seite 6
- BMWI Deutschland, „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Stand 06/2020, Seite 6
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 5 f.
- C. Helbing et al., Fraunhofer – Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, 2019, S. 10
- C. Helbing et al., Fraunhofer – Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, 2019, S. 10
- Umweltbundesamt, abgerufen am 18.03.2021
- Eurostat – Share of energy from renewable sources, online data code: NRG_IND_REN, abgerufen 23.03.2021
- C. Helbing et al., Fraunhofer – Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, 2019, S. 10
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 3
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 4, S. 6, S. 8
- BMWi – „Die Nationale Wasserstoffstrategie“, Juni 2020, S. 7
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen Project Database, abgerufen am 15.03.2021
- IEA – Fuels & technologies – Hydrogen, abgerufen am 23.03.2021
- Wiener Zeitung, abgerufen am 23.03.2021
- EU-Umweltbüro, abgerufen am 23.03.2021